
Carve-outs bieten Chancen und Herausforderungen
Die Abspaltung aus einem Konzern ist für ein Unternehmen eine große Herausforderung. Es verliert die Sicherheit des Eingebundenseins, wird dadurch aber auch freier und beweglicher.
Die österreichische Beteiligungsgesellschaft Invest AG hat mit zwei sogenannten Carve-outs – bei Lenzing und bei Philips – gezeigt, dass die Unternehmen eine große Umstellung bewältigen müssen.
Bei einem Carve-out werden Unternehmensteile abgespalten und verkauft. Ein Carve-out ist einem Spin-off sehr ähnlich, allerdings handelt es sich üblicherweise um die Abspaltung gesellschaftsrechtlich eigenständiger Unternehmenseinheiten eines Konzerns. Diese Einheit kann wirtschaftlich eigenständig sein, zugleich aber aus dem Konzern bestimmte Leistungen beziehen. Solche Funktionen sind z.B. Rechnungswesen und Buchhaltung oder die Informationstechnologie (lT).
Gewisse Kontinuität wahren
Die neue Freiheit hat Vor- und Nachteile, die das nun eigenständige Unternehmen und der Investor berücksichtigen müssen. „Die Herausforderung bei einem Carve-out ist, bislang von der Zentrale gesteuerte Funktionen weiterhin zu gewährleisten“, erklärt Dr. Andreas Szigmund, Vorstand der österreichischen Beteiligungsgesellschaft Invest AG. „Das Finanz- und Rechnungswesen, der Einkauf, der Vertrieb, die EDV, Versicherungen – es kann sein, dass das fortan eigenständige Unternehmen von solchen Bereichen am Tag der Übernahme abgeschnitten wird und dementsprechend eine Lösung bereitstehen muss.“ Je mehr Verflechtungen zum Rest des Konzerns bestehen, umso schwieriger ist ein Carve-out. Das Management ist im Zuge des Übergangs jedenfalls stark gefordert. Grundsätzlich bestehen hier zwei Möglichkeiten – entweder man vereinbart mit dem Konzern für eine Übergangszeit eine Beibehaltung der Leistung gegen ein entsprechendes Entgelt, oder man übernimmt die Aufgaben selbst bzw. bezieht die Leistungen von einem Dritten.
Carve-out aus Weltkonzern
Die 1994 gegründete Invest AG, Beteiligungsgesellschaft der Raiffeisenbankengruppe Oberösterreich mit einem Fondsvolumen von 150 Mio. EUR, hat in den letzten eineinhalb Jahren zwei Unternehmen per Carve-out übernommen: Philips Speech Processing und Lenzing Plastics. „Als Evergreen-Fonds haben wir keinen starken Exit-Druck, das wird von den mittelständischen Unternehmen geschätzt“, sagt Szigmund. Zum Portfolio zählen zurzeit 15 Unternehmen, der regionale Fokus liegt auf Österreich und Süddeutschland. Im Juni 2012 verkaufte der Philips-Konzern den Unternehmensbereich Speech Processing an die Invest AG. Philips Speech Processing mit Hauptsitz in Wien ist nach eigenen Angaben weltweiter Marktführer bei professionellen Diktierlösungen, jedes zweite professionelle Diktiergerät weltweit ist von Philips. In Wien sowie in sieben Auslandsniederlassungen beschäftigt das heute unter Speech Processing Solutions GmbH (SPS) firmierende Unternehmen rund 170 Mitarbeiter. Der Markenname Philips darf weiter verwendet werden. SPS entwickelt, produziert und vertreibt Produkte und Lösungen, die die Kunden beim Prozess „Sprache zu Text“ einfach und zuverlässig unterstützen und dadurch die Produktivität der Kunden deutlich erhöhen. Kernmärkte von SPS sind insbesondere der medizinische und der juristische Bereich: Ärzte, Anwälte, Richter – überall dort, wo viel dokumentiert bzw. viele Berichte verfasst werden.
„Champion“ in der Nische
lm Juni 2013 übernahm die Invest AG von der börsennotierten Lenzing AG die Kunststoffsparte des Konzerns, Lenzing Plastics, mit rund 110 Mio. EUR Umsatz und etwa 340 Mitarbeitern. In seiner Nische gehört Lenzing Plastics zu den weltweit führenden Unternehmen. Aus thermoplastischen Kunststoffen werden Folien und Verbundstoffe mit hohen Festigkeiten hergestellt, die vor allem bei Dämmstoffen, Verpackungen und in der Kabelindustrie verwendet werden; außerdem spezielle Garne und Fasern z.B. für medizinische und textile Anwendungen wie beispielsweise Funktionskleidung, chirurgisches Nahtmaterial und Ähnliches. Der Carve-out bei Lenzing wurde sogar ausgezeichnet: Bei den Österreichischen PE-Awards 2013 belegte das Käuferkonsortium unter Führung der Invest AG mit den Co-lnvestoren OÖ Beteiligungsgesellschaft und Tyrol Equity und unter Einbindung des bestehenden Managements den ersten Platz.
Carve-outs sind komplexe Prozesse
Die Loslösung und das Laufen auf eigenen Beinen sind Prozesse, die von allen Beteiligten gut geplant sein müssen und manchmal mehrere Jahre brauchen. Man wird schneller und wendiger, eventuell aber auch anfälliger „als kleineres Schiff auf hoher See“, der vermeintliche Schutz des Konzerns geht verloren. Es müssen sehr viele Details geklärt und einiges umgebaut bzw. neu eingerichtet werden, während das Tagesgeschäft weiter laufen soll: eine echte Herausforderung, quasi eine Operation am offenen Herzen. „Man muss sehr darauf achten, dass man die nötige Zeit hat, um die Funktionen und Organisationsstrukturen im ausgegliederten Unternehmen aufzubauen“, sagt Szigmund. „Oft wird eine Übergangsfrist vereinbart, zum Beispiel von wenigen Monaten bis zu etwa zwei Jahren, während der die Konzernfunktionen noch erhalten bleiben. Und man muss mit den Unsicherheiten in der Belegschaft richtig umgehen, die Mitarbeiter müssen mitgenommen werden. Man sollte eine Aufbruchstimmung erzeugen.“ Dass das alte Management am Ruder bleibt, ist dabei ein wichtiges Signal für Kontinuität und gibt Vertrauen.
Neues Selbstwertgefühl entsteht
„Es kann sogar einen regelrechten Motivationsschub geben und das Selbstwertgefühl durch die Eigenständigkeit gestärkt werden“, erklärt Johann Huber, Geschäftsführer von Lenzing Plastics. „Nach dem Motto: Wir sind nicht mehr Teil eines Ganzen, sondern wir sind das Ganze.“ Der neue Investor unterstütze das Unternehmen nun deutlich stärker, bringe eine ganz andere Wertschätzung ein als zuvor die Konzernleitung. Investitionen, die zuvor blockiert waren, wurden vom neuen Investor sofort „freigeschaltet“. Allerdings sollte die Umsatzabhängigkeit vom Konzern nicht zu groß sein. Lenzing Plastics hatte am Standort Lenzing einen Umsatzanteil an der AG von 10% und am gesamten Lenzing-Konzern sogar nur von 5%.
Schneller entscheiden und umsetzen
Vor- und Nachteile sieht auch Dr. Thomas Brauner, Geschäftsführer von Speech Processing Solutions. „Natürlich fallen Strukturen und Dienste des Konzerns weg, es müssen neue Prozesse aufgebaut werden; und das Ganze während des laufenden Geschäfts, das bedeutet einen enormen Zusatzaufwand während und nach dem Disentanglement“, sagt Brauner. „Wir haben nun einen 100%-Fokus auf unsere Kernkompetenzen, können Dinge schneller entscheiden und umsetzen – unbeeinflusst von strategischen Vorgaben aus der Konzernzentrale – und haben so Entbürokratisierung und zugleich stärkeres unternehmerisches Denken.“ SPS konnte nach dem Verkauf in neue Software investieren, was im Philips-Konzern nicht im Fokus stand.
Fazit
Letztlich kann sich ein Carve-out für beide Seiten sehr lohnen. Der Konzern ist um den nicht mehr gewollten Unternehmensteil „entschlackt“ und kann den Verkaufserlös für Investitionen in sein Kerngeschäft verwenden. Der abgespaltene Konzernteil muss auf konzernpolitische Maßgaben keine Rücksicht mehr nehmen, gewinnt ein neues Wertgefühl und kann sich voll auf sein eigenes Profil und Wachstum konzentrieren. Die investierende Beteiligungsgesellschaft kann diese Strategie finanziell und mit internationalem Netzwerk vorantreiben.
Quelle: VentureCapital Magazin, 10. Dezember 2013